Es wundert mich nicht wirklich, dass mir der Kunde im Anzug gegenübersteht. Hätte ich mir ja gleich denken können, als ich den ungewissen Auftrag mit dem äußerst guten Ertrag angenommen habe. Das hab ich nun davon…
Ich fühle mich total unschick. Er im Anzug und ich stehe hier in der total zerrockten Kordhose und dem viel zu weitem Kaputzenpulli bei dem schon die Ärmel etwas ausgeleiert sind. Der war mal schwarz, jetzt eher so anthrazit. Ich brauche Wasser. Natürlich bekommt der Großkunde auch etwas. Ein Glas aus der Leitung ist für ihn ja mal bestimmt mal eine nette Abwechslung zu dem sonst üblichen Wasser aus Designerflaschen. Das Glas hat leider leichte Wasserränder, da ich zu faul zum abtrocknen war. Die Teile werden auch prima trocken, wenn man sie verkehrt herum in eine dafür vorgesehene Vorrichtung stellt, ganz ohne weitere Energieaufwendung. Nur für diesen Zweck heute hat es dann halt doch nicht gereicht.
Doch jetzt schnell an den Schreibtisch. Die Person guckt etwas skeptisch, als sie die unzähligen Staubkörner zwischen den vielen Drehreglern sieht. Ich erkläre etwas zur Technik, um von der peinlichen Situation abzulenken. Ich erzähle von Equalizern und Summenkompression und erwähne die New York Compression und bei dem erwähnen der Worte New York erkenne ich eine Regung in seinem Gesicht, als wenn er sich an eine verflossene Liebe zurück erinnert.
Um ein bisschen die Stimmung zu lockern, spiele ich etwas aus vorherigen Aufträgen vor. Der Gesichtsausdruck meines Gegegenübers verändert sich schlagartig und ich bemerke, dass ich die falsche Datei gewählt habe. Statt dem Chillout-Song, stolpern meine gewollt experimentellen Klangkatastrophen aus den Lautsprechern. Ich drehe erst die Lautstärke runter und suche dann schnell den anderen Song, der blöderweise genau den gleichen Namen hat, aber in einem völlig anderen Verzeichniss ist. Immer diese Arbeitstitel. Ich schildere mein Missgeschick mit einem Lächeln und sehe Entsetzen. Mir wird warm. Ich reiße das Fenster auf. Ich sehe das Feinripp Unterhemd durch das Oberteil meines gegenübers schimmern und denke mir, dass er schon nicht frieren wird. Beim erklingen der lockeren Chillout-Sounds lockert sich wenigstens sein Gesichtsausdruck etwas; die Haltung ist weiterhin doch eher zurückhaltend und ich kann überhaupt nicht einschätzen, ob das jetzt gefällt oder nicht.
Als ich dann gut 20 Minuten weiter erzählt habe frage ich nach dem Anliegen. Er gibt mir eine DVD in die Hand und erklärt mir, dass ich hier hierzu eine Melodie machen soll. Mehr nicht. Und jetzt kommt der Moment bei dem ich innerlich so richtig fluche: Da ich gemerkt habe, dass der Rechner dropouts produziert, wenn ein DVD-Laufwerk angeschlossen ist habe ich dieses flott ausgebaut. Für das Laufwerk habe ich schon ein externes Gehäuse bestellt. Dieses wird zu mir nach Hause geliefert, wo auch das ausgebaute DVD-Laufwerk liegt. Das sollte in den Heimrechner, wo hin und wieder mal ein Dropout nicht so schlimm ist. Mit anderen Worten: Hier ist kein DVD-Laufwerk. Um diesen Punkt zu erklären benötige ich dann wohl doch etwas mehr Zeit als eigentlich eingeplant war. Ich erkläre, dass optische Medien irgendwie so sind, als ob ich einem Kunden nach Abschluss meiner Arbeit eine Gramophonschallplatte in die Hand drücke, was von der Realität oftmals gar nicht so weit weg ist. Die sagen dann halt so Sachen wie „eine MP3 reicht völlig“ und auf Rückfragen nach der Qualität nur „normal, 128“ kommt. Die Vinyl soll besser klingen, weil da irgendwas großes Kompliziertes passiert und man hört sogar, dass da Verunreinigungen sind oder wenn ein Titel häufiger abgespielt wurde. Der potentielle Kunde läßt die DVD da. Ich warte auf einen Rückruf. Er hat bestimmt meine Visitenkarte verloren. Wenn du das liest, bitte melde dich, die Kontaktdaten sind im Impressum.
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